16.10.2023
Autor Dirk Oschmann in Plauen: Erst im Ausland wird man als Ostdeutscher zum Deutschen
Mit dem Buch „Der Osten: eine westdeutsche Erfindung“ hat der Leipziger Literaturwissenschaftler eine Debatte entfacht. Am Samstag erklärte er in Plauen, warum er weder Wutbürger noch Jammerossi ist.
Der Anlass dafür, dieses Buch zu schreiben, sei vor zwei Jahren der Umstand gewesen, dass er einen Vortrag zum Thema halten sollte, warum der Osten die Gesellschaft spaltet. „Da habe ich gedacht, jetzt reicht’s“, berichtet Dirk Oschmann. Der Leipziger Literaturwissenschaftler, Jahrgang 1967, gebürtig im thüringischen Gotha, war am Samstag nach Plauen in den Komturhof gekommen, um Auszüge aus seinem Buch zu lesen und im Anschluss mit Ingo Eckardt vom Förderverein der Einrichtung über den Inhalt zu plaudern.
Gleich zu Beginn macht der Autor deutlich, dass er keinesfalls ein Buch über den Osten, sondern vielmehr über den Westen geschrieben habe. Natürlich ist das eine bewusst vorgetragene Falschmeldung, denn in dem 224-Seiten-Werk mit dem Titel „Der Osten: eine westdeutsche Erfindung“ geht es vor allem darum, wie der Osten Deutschlands zu dem wurde, was er heute ist - und wie er im Westen wahrgenommen wird.
Jammerossi oder Wutbürger? „Ich bevorzuge den Begriff Zorn“, sagt Oschmann
Und dieses Bild sei wenig differenziert, so beschreibt es der Autor. Wer sich als Ostdeutscher öffentlich kritisch äußere, gelte ausschließlich entweder als Jammerossi oder als Wutbürger - eine andere Kategorie gebe es nicht. Verantwortlich dafür sei der politisch-mediale Diskurs, der von Menschen vertreten werde, die im Westen aufgewachsen sind. Er hingegen wolle weder als das eine noch als das andere wahrgenommen werden, fügt er hinzu. „Ich bevorzuge den Begriff Zorn“, sagt er und liefert die Begründung gleich mit. „Zorn hat immer auch etwas mit Gerechtigkeit zu tun.“
Und daran fehlt es vor allem - an Gerechtigkeit. Belege für diese These sind nicht schwer zu finden, etwa wenn Oschmann von dem Großkonzern berichtet, der den Belegschaften in seinen westdeutschen Werken einen Inflationsausgleich zahle, den Angestellten im Osten aber nicht. Oder am mickrigen Anteil von Menschen mit ostdeutscher Herkunft in Führungspositionen. Nullkommanull Prozent etwa bei der Bundeswehr, erklärt er.
So stellt der Autor fest, dass Entscheidungen den Osten betreffend vor allem von westdeutschen Männern getroffen werden, obwohl vier der fünf Regierungschefs zwischen Ostsee und Erzgebirge eine ostdeutsche Biografie haben. Westdeutsche Beamte nennt er eine Kolonistenbewegung, die nicht nur eine Kolonialisierungs-, sondern auch eine Kultivierungsaufgabe hätten.
So werde der Osten vom Westen als eine Art Bad Bank diffamiert, in die man alle gesellschaftlichen Probleme auszulagern meint. Der Westen hingegen betrachte sich als die Norm, der Osten sei abnormal. „Der Osten erscheint nur als Geschwür am Körper des Westens“, lautet die Diagnose des Autors.
Oschmann: Sachsen wird als „Osten des Ostens“ wahrgenommen
Sachsen komme dabei noch einmal eine Sonderrolle zu, denn bei Oschmann ist der Freistaat im Westblick der „Osten des Ostens“. Wenn über den Osten im Westen berichtet werde, dann meist über Sachsen. Hier komme alles zusammen, was man als abstoßend empfinden könne: Alle seien bei der Stasi gewesen, alle seien gedopt gewesen, alle seien rechtsextrem, und alle sprächen diesen ungeliebten Dialekt. „Was ist das für ein Land, in dem Menschen ihre Sprache und ihre Herkunft verleugnen müssen?“, fragt der Autor. Und wer mit ostdeutscher Herkunft überhaupt als Deutscher wahrgenommen werden wolle, dem bleibe ohnehin nichts anderes übrig, als ins Ausland zu gehen.
Kritikern macht es Oschmann damit leicht, denn die vielfach vorgetragene pauschale Kritik am Westen ist kaum anders, als das, was der Autor den Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft vorwirft. Sie beanstanden den Tonfall seines Buches, sagt Oschmann am Samstag in Plauen und spottet, man störe sich nicht daran, dass man im Osten weniger verdiene und ausgegrenzt werde, sondern wie man darüber rede. Der „Freien Presse“ sagt er im Anschluss der Veranstaltung, natürlich habe sein Pauschalurteil auch eine strategische Funktion. „Mein Buch soll den Westen empören“, begründet er.
Das hat er wohl auch geschafft. In Plauen hingegen erntete der Autor vor allem zweierlei: Nickende Zustimmung und viel Beifall.